Rezeptetiketten entschlüsseln: Abkürzungen und Apothekensymbole verständlich erklärt

Rezeptetiketten entschlüsseln: Abkürzungen und Apothekensymbole verständlich erklärt Dez, 24 2025

Was steckt hinter den Abkürzungen auf Ihrem Rezeptetikett?

Wenn Sie Ihr neues Medikament aus der Apotheke holen, sehen Sie auf dem Etikett kleine Buchstabenkombinationen wie p.o., b.i.d. oder q.d.. Sie wirken wie ein Geheimsprache - und das sind sie auch. Diese Abkürzungen stammen aus dem Lateinischen und wurden vor Hunderten von Jahren eingeführt, um Ärzten das Schreiben zu erleichtern. Doch heute sind sie kein Luxus mehr, sondern eine potenzielle Gefahr. Jedes Jahr kommen in den USA Tausende Medikationsfehler durch falsch interpretierte Abkürzungen zustande. In Deutschland wird immer mehr auf klare, verständliche Sprache umgestellt - doch viele Rezepte aus anderen Ländern oder von älteren Ärzten nutzen noch immer die alten Codes.

Die häufigsten Abkürzungen - und was sie wirklich bedeuten

Die wichtigsten Abkürzungen auf Rezeptetiketten lassen sich in fünf Gruppen einteilen: Einnahmeweg, Häufigkeit, Anwendungsstelle, Medikamentenform und Erkrankungsabkürzungen. Hier die wichtigsten mit klaren Übersetzungen:

  • p.o. = per os - oral, also durch den Mund. Das bedeutet: Schlucken, nicht kauen oder spritzen.
  • b.i.d. = bis in die - zweimal täglich. Meist morgens und abends, aber nicht unbedingt zu den Mahlzeiten.
  • t.i.d. = ter in die - dreimal täglich. Typisch für Antibiotika oder Schmerzmittel.
  • q.d. = quaque die - täglich. Diese Abkürzung ist gefährlich: Viele lesen sie als „q.i.d.“ (viermal täglich) und nehmen die Dosis viermal statt einmal ein. Deshalb wird sie heute in vielen Apotheken verboten.
  • q.i.d. = quater in die - viermal täglich. Wird oft bei Infektionskrankheiten verschrieben.
  • PRN = pro re nata - nach Bedarf. Das bedeutet: Nur nehmen, wenn nötig - nicht automatisch alle 6 Stunden.
  • o.d. = oculus dexter - rechtes Auge. Wird bei Augentropfen oder -salben verwendet.
  • o.s. = oculus sinister - linkes Auge. Verwechslung mit o.d. ist eine der häufigsten Ursachen für Augenfehler.
  • a.d. = auris dexter - rechtes Ohr. Wird bei Ohrtröpfchen verwendet.
  • a.s. = auris sinister - linkes Ohr.
  • SC oder SubQ = subcutaneous - unter die Haut. Typisch für Insulin oder Blutverdünner.
  • OTC = over-the-counter - rezeptfrei. Wird manchmal auf Rezepten genannt, wenn ein Medikament auch ohne Rezept erhältlich ist.

Die gefährlichsten Abkürzungen - und warum sie verboten werden

Nicht alle Abkürzungen sind gleich sicher. Einige sind so leicht zu verwechseln, dass sie bereits in mehreren Ländern verboten wurden. Die Joint Commission in den USA hat eine offizielle „Do Not Use“-Liste veröffentlicht - und diese ist inzwischen auch in deutschen Apotheken bekannt.

  • U für „Units“ (Einheiten): Wird oft mit „0“ verwechselt. Ein Patient bekam einmal 100 Einheiten statt 10 - und starb. Deshalb muss es jetzt immer „Einheiten“ heißen.
  • IU für „International Units“: Kann mit „IV“ (intravenös) verwechselt werden. Ein Fehler, der zu Überdosierungen führt.
  • MS für „Morphine Sulfate“: Kann auch für „Magnesium Sulfate“ stehen. Beide Medikamente sind extrem unterschiedlich - und beide tödlich, wenn falsch gegeben.
  • QD oder QOD: „Täglich“ oder „Alle zwei Tage“. Beide werden oft falsch gelesen. Heute schreibt man einfach „täglich“ oder „alle zwei Tage“.
  • 1.0 mg: Der Punkt nach der 1 kann wie eine 10 gelesen werden. Deshalb schreibt man heute immer 0,5 mg - mit führender Null.

Ein Fall aus einer deutschen Apotheke: Ein Patient bekam ein Rezept mit „MSO4“. Die Apothekerin dachte: Morphinsulfat. Doch es war Magnesiumsulfat - ein Medikament, das bei Schwangerschaftsvergiftung eingesetzt wird. Der Patient hatte keine Schwangerschaft. Glücklicherweise wurde der Fehler vor der Abgabe erkannt. Heute schreiben Apotheken in Deutschland: „Morphinsulfat“ oder „Magnesiumsulfat“ - komplett ausgeschrieben.

Eine Apothekerin übersetzt gefährliche Abkürzungen auf einem Tablet, während grüne Übersetzungen in der Luft erscheinen.

Wie Apotheken heute mit Abkürzungen umgehen

Deutschland hat sich nicht so strikt wie Großbritannien für die Abschaffung von Latein-Abkürzungen entschieden - aber die Tendenz ist klar: weg von Latein, hin zu Deutsch.

Die meisten Apotheken arbeiten heute mit drei Sicherheitsstufen:

  1. Automatische Erkennung: Die Software im Apotheken-System erkennt verbotene Abkürzungen und warnt sofort. Zum Beispiel: „U“ wird rot markiert.
  2. Pharmazeutische Prüfung: Jedes Rezept wird von einem Apotheker noch einmal geprüft - besonders bei Abkürzungen. Das ist Pflicht bei großen Ketten wie Rossmann, dm oder Rewe.
  3. Verständliches Etikett: Auf dem Patienten-Etikett steht nie „b.i.d.“, sondern immer „zweimal täglich“. Das ist gesetzlich vorgeschrieben, wenn das Rezept aus dem Ausland kommt oder von einem Arzt mit veralteter Schreibweise stammt.

Einige Apotheken in Deutschland haben sogar eigene Richtlinien: „Keine Abkürzungen auf dem Etikett - nur klare deutsche Worte.“ Das reduziert die Fehlerquote um bis zu 52 %, wie eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Pharmazie 2023 zeigte.

Warum Ärzte immer noch Abkürzungen nutzen - und warum das Problem bleibt

Warum benutzen Ärzte dann immer noch „b.i.d.“ oder „p.o.“? Weil es schnell geht. Ein Arzt in einer Praxis mit 40 Patienten am Tag hat nicht die Zeit, jedes Mal „zweimal täglich“ zu schreiben. Außerdem haben viele Ärzte in der Ausbildung nur Latein-Abkürzungen gelernt.

Einige Ärzte sagen: „Ich schreibe es so, weil ich es so gelernt habe.“ Andere nutzen es, weil sie denken, es sei „professionell“. Doch die Realität ist anders: Die meisten Patienten verstehen diese Abkürzungen nicht. Und wenn sie sie nicht verstehen, nehmen sie das Medikament falsch - oder gar nicht.

Ein Survey der Deutschen Ärzteschaft 2024 ergab: 65 % der Ärzte verwenden noch immer „b.i.d.“ oder „t.i.d.“, aber 89 % geben zu, dass sie wissen, dass das Risiko besteht. Die Lösung? Elektronische Rezepte. In Deutschland werden immer mehr Rezepte digital übermittelt - und da gibt es keine Abkürzungen mehr. Die Software fragt automatisch: „Wie oft täglich?“ - und der Arzt wählt „einmal“, „zweimal“ oder „viermal“. Kein Platz für Missverständnisse.

Was Sie als Patient tun können

Sie brauchen kein Medizinstudium, um sicher zu sein. Hier sind drei einfache Regeln:

  1. Fragen Sie immer nach: Wenn Sie „b.i.d.“ oder „o.d.“ auf dem Etikett sehen, fragen Sie: „Was bedeutet das?“ Die Apothekerin wird es Ihnen gerne erklären - und sie hat die Zeit dafür.
  2. Prüfen Sie das Etikett: Steht da „zweimal täglich“ oder „b.i.d.“? Wenn es nur Abkürzungen gibt, fragen Sie, ob es auch in klarem Deutsch geschrieben werden kann.
  3. Verwenden Sie die App: Viele Apotheken bieten Apps an, in denen Sie Ihr Rezept scannen können. Die App übersetzt dann alle Abkürzungen automatisch. Einige deutsche Apotheken wie DocMorris oder Versandapotheke.de haben das bereits eingeführt.

Ein Beispiel: Eine 72-jährige Frau aus Düsseldorf bekam ein Rezept mit „o.d.“. Sie dachte, es sei „überdosis“. Sie nahm die Tropfen nicht - und ihr Augenleiden verschlechterte sich. Als sie in die Apotheke kam, erklärte man ihr: „o.d.“ bedeutet „rechtes Auge“. Sie hat seitdem jedes Etikett geprüft - und fragt immer nach.

Lateinische Abkürzungen lösen sich auf und werden durch klare deutsche Medikationsanweisungen in einer futuristischen Stadt ersetzt.

Die Zukunft: Keine Abkürzungen mehr

Die Welt bewegt sich weg von Latein. Die WHO fordert bis 2030: Nur noch klare, verständliche Sprache auf Rezepten. Deutschland ist dabei - und zwar langsam, aber sicher. Die neue Apothekenverordnung ab Mai 2024 verlangt, dass alle Rezepte, die über digitale Systeme kommen, keine Abkürzungen mehr enthalten dürfen.

Die großen Apothekenketten haben bereits umgestellt. Die kleinen Praxen und Kliniken folgen. Bald wird „b.i.d.“ genauso altmodisch sein wie ein Handschreibrezept. Und das ist gut so. Denn Medikamente sollen helfen - nicht verwirren.

Was Sie jetzt wissen sollten

Rezeptabkürzungen sind kein Zeichen von Fachwissen - sie sind ein Risiko. Die meisten Patienten verstehen sie nicht. Die meisten Apotheken übersetzen sie. Die meisten Ärzte wissen, dass sie veraltet sind. Die Zukunft gehört der klaren Sprache. Und Sie als Patient haben das Recht, Ihr Medikament in Worten zu verstehen - nicht in Geheimschriften.

Was bedeutet p.o. auf einem Rezept?

p.o. steht für „per os“ und bedeutet „durch den Mund“ oder „oral“. Sie nehmen das Medikament also ein - zum Beispiel als Tablette, Kapsel oder Flüssigkeit. Es ist nicht für die Injektion oder das Einreiben gedacht.

Ist b.i.d. dasselbe wie zweimal täglich?

Ja, b.i.d. ist die lateinische Abkürzung für „bis in die“ und bedeutet „zweimal täglich“. In modernen Rezepten wird das jedoch oft als „zweimal täglich“ geschrieben, um Verwechslungen zu vermeiden.

Warum ist die Abkürzung „U“ gefährlich?

„U“ steht für „Units“ (Einheiten), zum Beispiel bei Insulin. Sie kann leicht mit „0“ verwechselt werden - ein „10U“ wird dann als „100“ gelesen. Das führt zu einer zehnfachen Überdosierung. Deshalb wird heute immer „Einheiten“ geschrieben.

Was ist der Unterschied zwischen o.d. und a.d.?

o.d. steht für „oculus dexter“ - also das rechte Auge. a.d. steht für „auris dexter“ - also das rechte Ohr. Beide Abkürzungen sehen ähnlich aus, werden aber für völlig unterschiedliche Körperstellen verwendet. Verwechslungen können zu schwerwiegenden Fehlern führen, etwa wenn Augentropfen ins Ohr geträufelt werden.

Warum steht manchmal „OTC“ auf einem Rezept?

OTC bedeutet „over-the-counter“ - also rezeptfrei. Manchmal wird es auf Rezepten genannt, wenn ein Arzt ein Medikament verschreibt, das auch ohne Rezept erhältlich ist. Das dient dazu, den Patienten zu informieren, dass er das Medikament auch ohne Rezept kaufen könnte - aber der Arzt hat es aus medizinischen Gründen verschrieben.

Kann ich als Patient verlangen, dass mein Rezept ohne Abkürzungen ist?

Ja. Sie haben das Recht, eine verständliche Anweisung zu bekommen. Wenn das Etikett nur Abkürzungen enthält, können Sie die Apotheke bitten, es in klarem Deutsch umzuschreiben. Die meisten Apotheken tun das kostenlos - und sie sind verpflichtet, Ihre Sicherheit zu gewährleisten.

Gibt es in Deutschland eine Liste mit verbotenen Abkürzungen?

Ja. Die Deutsche Gesellschaft für Pharmazie und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) halten eine Liste mit empfohlenen und verbotenen Abkürzungen aktuell. Die wichtigsten verbotenen Abkürzungen sind: U, IU, MS, QD, QOD, und trailing zeros wie „1.0“. Diese dürfen in Rezepten nicht mehr verwendet werden - und Apotheken müssen sie korrigieren.

Was kommt als Nächstes?

Die digitale Transformation macht die alten Abkürzungen überflüssig. Elektronische Rezepte, KI-gestützte Systeme und klare Sprachregeln werden die letzten Reste des Lateinischen in der Medizin verdrängen. In fünf Jahren wird „b.i.d.“ nur noch in Lehrbüchern vorkommen - und nicht mehr auf einem Etikett. Und das ist gut so. Denn Medikamente sollen helfen - nicht raten lassen.