Antipsychotika: Metabolische Risiken und wie sie überwacht werden

Antipsychotika: Metabolische Risiken und wie sie überwacht werden Dez, 19 2025

Wenn jemand eine Antipsychotika-Therapie beginnt, geht es meist darum, Stimmen zu dämpfen, Wahnvorstellungen zu reduzieren oder die innere Unruhe zu beruhigen. Doch hinter dieser wirksamen Behandlung verbirgt sich ein stiller, aber schwerwiegender Preis: das Risiko für schwere Stoffwechselstörungen. Viele Patienten und sogar einige Ärzte unterschätzen, wie schnell sich Gewichtszunahme, hoher Blutzucker oder veränderte Fettwerte entwickeln - und wie sehr das die Lebenserwartung beeinträchtigt. Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen leben im Durchschnitt 20 bis 25 Jahre kürzer als die Allgemeinbevölkerung. Fast 60 % dieser frühen Todesfälle gehen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurück, die oft direkt durch die Medikamente ausgelöst werden.

Welche Antipsychotika sind am gefährlichsten?

Nicht alle Antipsychotika wirken gleich. Die sogenannten zweiten Generation (SGAs), die seit den 1990er-Jahren dominieren, sind zwar besser verträglich bezüglich Zittern und steifen Bewegungen, aber sie belasten den Stoffwechsel deutlich stärker als die älteren Medikamente. Hier ist die klare Rangliste, basierend auf mehreren Studien, darunter die große CATIE-Studie und aktuelle Übersichtsarbeiten:

  • Höchstes Risiko: Clozapin und Olanzapin - beide führen bei vielen Patienten zu massiver Gewichtszunahme, oft mehr als 2 Pfund pro Monat in den ersten 18 Monaten. Bei Olanzapin entwickeln bis zu 30 % der Patienten eine Gewichtszunahme von mehr als 7 % ihres Körpers, bei Clozapin ähnlich.
  • Mittleres Risiko: Quetiapin und Risperidon - hier liegt die Gewichtszunahme bei etwa 10-20 % der Patienten. Der Blutzucker steigt ebenfalls, aber nicht so stark wie bei Olanzapin.
  • Niedrigstes Risiko: Aripiprazol, Ziprasidon und Lurasidon - diese Medikamente verursachen kaum Gewichtszunahme und haben kaum Einfluss auf Blutzucker oder Fettwerte. Aripiprazol ist oft die erste Wahl, wenn der Patient bereits Übergewicht oder Diabetes hat.

Warum ist das so? Die Wirkung hängt von den Rezeptoren ab, die die Medikamente blockieren. Starkes Anbinden an den Histamin-H1-Rezeptor führt zu Heißhunger. Blockade des Serotonin-5-HT2C-Rezeptors stört die Blutzuckerregulation - und das, selbst wenn das Gewicht stabil bleibt. Clozapin und Olanzapin binden stark an beide. Aripiprazol hingegen wirkt eher wie ein Teil-Aktivator - und das macht den Unterschied.

Was genau passiert im Körper?

Die Stoffwechselprobleme sind nicht nur eine Frage von „zu viel essen“. Es gibt direkte biologische Effekte:

  • Gewichtszunahme: Die Medikamente verändern das Hunger- und Sättigungsgefühl im Gehirn. Patienten fühlen sich ständig hungrig, besonders nach Kohlenhydraten.
  • Hoher Blutzucker und Diabetes: Olanzapin und Clozapin stören die Insulinwirkung in Leber, Muskeln und Fettgewebe. Der Körper kann den Zucker nicht mehr richtig aufnehmen - selbst wenn das Gewicht noch normal ist.
  • Veränderte Fettwerte: Triglyceride steigen, HDL-Cholesterin (das „gute“ Cholesterin) sinkt. Das ist ein klassisches Muster für Arterienverkalkung. Bis zu 58 % der Patienten haben zu wenig HDL - das ist doppelt bis fünfmal so häufig wie in der Normalbevölkerung.
  • Bluthochdruck: Kommt oft dazu, besonders wenn das Gewicht zunimmt. Die Kombination aus hohem Blutdruck, hohem Zucker und schlechten Fettwerten nennt man metabolisches Syndrom.

Das metabolische Syndrom ist kein „Zufall“. Es ist eine klare Diagnose: Bauchfett (Taillenumfang >94 cm bei Männern, >80 cm bei Frauen) plus mindestens zwei der folgenden: hohe Triglyceride, niedriges HDL, hoher Blutdruck oder erhöhter Blutzucker. Bei Patienten auf SGAs tritt es in 32-68 % der Fälle auf. Bei Menschen ohne Antipsychotika liegt die Rate bei nur 3-26 %. Das ist kein kleiner Unterschied - das ist ein dramatischer Anstieg.

Split scene: psychiatrist rushing through consultation while metabolic syndrome diagram cracks like porcelain.

Wie wird das überwacht - und warum passiert es oft nicht?

Die Leitlinien sind klar: Bevor ein Antipsychotikum beginnt, muss man Gewicht, Taillenumfang, Blutdruck, Blutzucker und Blutfette messen. Danach: nach 4, 8 und 12 Wochen, dann mindestens jedes Quartal im ersten Jahr, danach mindestens einmal jährlich. Das empfehlen die American Diabetes Association und die American Psychiatric Association seit 2004 - und haben es 2019 nochmal verstärkt.

Aber in der Praxis? Nur 38 % der US-Psychiater führen diese Kontrollen konsequent durch. Warum? Einige Gründe:

  • Psychiater haben oft nur 15 Minuten pro Termin - da geht es erstmal um Stimmen und Wahn, nicht um Blutwerte.
  • Die Patienten selbst zögern: „Ich will nicht noch mehr Blut abgenommen haben.“ Oder: „Ich dachte, das ist nur ein Nebeneffekt, den man eben hinnehmen muss.“
  • Es gibt kaum eine Verbindung zwischen Psychiatrie und Hausarzt. Die Blutwerte werden im Psychiatrie-System nicht dokumentiert - und der Hausarzt weiß nichts davon.

Ein Patient aus Reddit berichtet: „Ich nahm Olanzapin - und nahm 20 kg zu. Mein Psychiater hat nie nach meinem Blutzucker gefragt. Als ich nach einem Jahr Diabetes diagnostiziert bekam, war er überrascht.“

Andere Patienten hingegen sagen: „Ich habe gewusst, dass ich zunehme - aber die Stimmen waren ruhig. Ich habe es akzeptiert.“ 82 % der Clozapin-Nutzer auf PatientsLikeMe sagten 2022, dass die Gewichtszunahme „es wert“ sei, um die Symptome zu kontrollieren. Das ist der große Konflikt: psychische Stabilität gegen körperliche Gesundheit.

Was kann man tun - wenn das Medikament notwendig ist?

Wenn Clozapin oder Olanzapin unverzichtbar sind - etwa bei therapieresistenter Schizophrenie - dann muss man nicht resignieren. Es gibt Wege, das Risiko zu senken:

  • Medikamentenwechsel: Wenn das Gewicht in den ersten 3 Monaten um mehr als 5 % steigt, sollte man überlegen, auf ein niedrigeres Risiko-Medikament wie Aripiprazol umzusteigen. Nicht immer ist das möglich - aber oft ist es eine Option.
  • Lebensstilinterventionen: Eine Studie aus Massachusetts zeigte: Wenn Patienten mit Antipsychotika in ein strukturiertes Ernährungs- und Bewegungsprogramm kommen, verlieren sie durchschnittlich 3 kg im ersten Jahr - statt 5 kg zuzunehmen. Das ist eine Halbierung des Risikos.
  • Metformin: Dieses Diabetes-Medikament wird oft vorsorglich verschrieben, um Gewichtszunahme und Blutzuckeranstieg zu bremsen. Es ist sicher, billig und wirkt bei vielen Patienten.
  • Regelmäßige Kontrollen: Jeder Patient sollte eine eigene „Metabolische Checkliste“ haben - mit Datum, Gewicht, Taillenumfang, Blutdruck, Blutzucker und Cholesterin. Diese Liste sollte bei jedem Termin besprochen werden.

Ein neues Medikament, Lumateperon (Caplyta), das 2023 zugelassen wurde, zeigt, dass es auch anders geht: Bei ihm nahmen nur 3,5 % der Patienten signifikant zu - im Vergleich zu 23,7 % bei Olanzapin. Das ist ein Wendepunkt. Die Forschung arbeitet jetzt an Medikamenten, die gar keine metabolischen Nebenwirkungen mehr haben.

Patient walks in autumn park with health journal, shadowy drug demons behind, healing path ahead.

Was passiert, wenn man nichts tut?

Die Zahlen sind erschreckend. Wer auf einem Antipsychotikum mit hohem metabolischem Risiko ist, hat ein dreifach erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Eine Studie mit 6,9 Jahren Beobachtungszeit zeigte: Patienten mit metabolischem Syndrom sterben dreimal häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen als solche ohne.

Wenn nichts geändert wird, prognostizieren Experten bis 2030 eine weitere Verringerung der Lebenserwartung von bis zu 5 Jahren - allein durch die Nebenwirkungen der Medikamente. Das ist kein Nebeneffekt. Das ist eine medizinische Krise.

Was Patienten selbst tun können

Sie sind nicht machtlos. Hier sind konkrete Schritte:

  1. Frage nach der Metabolischen Risikobewertung: Bevor du ein neues Antipsychotikum bekommst, frage: „Welches Risiko hat dieses Medikament für Gewicht, Blutzucker und Fettwerte?“
  2. Verlange die ersten Blutwerte: Vor dem Start und nach 3 Monaten. Nicht warten, bis du dich „unwohl“ fühlst.
  3. Mess dein Gewicht und deine Taille monatlich: Schreibe es auf. Ein Anstieg von mehr als 2-3 kg in 2 Monaten ist ein Warnsignal.
  4. Sprich mit deinem Hausarzt: Dein Psychiater ist nicht dein einziger Arzt. Gib ihm deine Blutwerte - oder lass sie ihm schicken.
  5. Vermeide Zucker und Weißmehl: Diese Nahrungsmittel verschlimmern die Insulinresistenz. Gehe lieber spazieren als fernzusehen - 30 Minuten täglich senken das Risiko.

Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn du nach einer Alternative fragst. Es ist ein Zeichen von Stärke - und von Verantwortung für dein ganzes Leben.

Welche Antipsychotika verursachen am wenigsten Gewichtszunahme?

Aripiprazol, Ziprasidon und Lurasidon verursachen in der Regel die geringste Gewichtszunahme. Bei diesen Medikamenten nimmt weniger als 5 % der Patienten mehr als 7 % ihres Körpergewichts zu. Sie sind die erste Wahl, wenn der Patient bereits Übergewicht, Diabetes oder hohe Cholesterinwerte hat. Clozapin und Olanzapin hingegen führen bei bis zu 30 % der Patienten zu massiver Gewichtszunahme.

Warum wird der Blutzucker erhöht, obwohl ich nicht übergewichtig bin?

Einige Antipsychotika, besonders Olanzapin und Clozapin, stören direkt die Insulinwirkung in Leber, Muskeln und Fettzellen - unabhängig vom Gewicht. Das nennt man „insulinresistent“. Der Körper produziert zwar Insulin, aber die Zellen reagieren nicht mehr darauf. Deshalb steigt der Blutzucker, selbst wenn das Gewicht normal bleibt. Das ist ein direkter pharmakologischer Effekt - kein Ergebnis von zu viel Essen.

Wie oft sollte ich Blutuntersuchungen machen lassen?

Vor Behandlungsbeginn: Alle Werte messen - Gewicht, Taillenumfang, Blutdruck, Nüchternblutzucker und Blutfette. Danach: nach 4, 8 und 12 Wochen. Im ersten Jahr alle drei Monate. Danach mindestens einmal jährlich. Bei hohem Risiko (z. B. Olanzapin, familiäre Diabetes-Vorgeschichte) oder schneller Gewichtszunahme: alle 2 Monate.

Kann ich das Medikament einfach absetzen, wenn ich zunehme?

Nein. Ein abruptes Absetzen kann zu Rückfällen, Psychosen oder sogar Suizidgefahr führen. Wenn du starke Gewichtszunahme oder andere metabolische Probleme hast, sprich mit deinem Psychiater. Es gibt oft Alternativen mit geringerem Risiko. Ein Wechsel sollte geplant und langsam erfolgen - nicht spontan.

Ist Metformin wirklich sinnvoll, wenn ich kein Diabetes habe?

Ja. Metformin wird oft vorsorglich bei Patienten mit hohem Risiko verschrieben - auch ohne Diabetes. Es senkt die Insulinresistenz, reduziert den Appetit und kann Gewichtszunahme um bis zu 3-5 kg verhindern. Es ist gut verträglich, billig und wird in vielen Leitlinien empfohlen, besonders bei Olanzapin oder Clozapin.

Warum bekommen viele Patienten keine Blutuntersuchungen?

Weil die Versorgung fragmentiert ist: Psychiater kümmern sich um die Psyche, Hausärzte um den Körper - und oft weiß keiner von den Werten des anderen. Außerdem fehlt Zeit, Motivation oder einfache Tools in den Praxen. Viele Patienten glauben auch, dass Gewichtszunahme „normal“ ist - und melden es nicht. Das führt dazu, dass Probleme erst spät entdeckt werden - oft erst, wenn Diabetes oder Herzprobleme bereits da sind.

1 Comment

  • Image placeholder

    Peter Priegann

    Dezember 19, 2025 AT 12:38

    Ich hab Olanzapin genommen und 25 Kilo zugenommen. Mein Psychiater hat nie was gesagt. Er hat nur gefragt, ob die Stimmen noch da sind. Als ich gesagt hab, ja, aber ich kann nicht mehr treppensteigen, hat er mir nur mehr gegeben. Ich bin kein Fettball, ich bin ein Mensch.

Schreibe einen Kommentar