Nahrungsmittelunverträglichkeit vs. Allergie: Magen-Darm-Symptome und Diagnosetests
Dez, 25 2025
Wenn du nach dem Essen Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfall bekommst, fragst du dich wahrscheinlich: Ist das eine Allergie oder nur eine Unverträglichkeit? Die Antwort ist entscheidend - denn während eine Allergie lebensbedrohlich sein kann, ist eine Unverträglichkeit meist nur unangenehm. Viele Menschen verwechseln die beiden, und das führt zu falschen Diagnosen, unnötigen Diäten oder sogar gefährlichen Situationen.
Was ist eine Nahrungsmittelallergie?
Eine Nahrungsmittelallergie ist eine Fehlreaktion des Immunsystems. Der Körper greift harmlose Eiweiße in Lebensmitteln als Feinde an und produziert Antikörper vom Typ IgE. Diese Antikörper binden sich an Mastzellen - und sobald du das Allergen erneut isst, lösen sie eine Kettenreaktion aus: Histamin und andere Botenstoffe werden freigesetzt. Das passiert innerhalb von Minuten bis maximal zwei Stunden.
Typische Magen-Darm-Symptome einer Allergie sind plötzlicher Erbrechen, krampfartige Bauchschmerzen und akuter Durchfall. Aber das ist nur ein Teil des Bildes. Fast immer kommen zusätzlich Hautreaktionen wie Nesselsucht oder Schwellungen, Atembeschwerden oder sogar Kreislaufkollaps hinzu. Das ist kein Zufall: Eine Allergie ist ein systemischer Prozess, nicht nur ein Magen-Darm-Problem.
Die acht Hauptallergene, die 90 % aller IgE-vermittelten Allergien verursachen, sind: Erdnüsse, Baumnüsse, Milch, Eier, Weizen, Soja, Fisch und Schalentiere. Selbst winzige Spuren - wie ein Tropfen Erdnussöl oder Krümel auf einem Besteck - können bei Betroffenen eine schwere Reaktion auslösen. Das macht die Allergie so gefährlich: Es gibt keine sichere Menge. Deshalb ist strikte Vermeidung die einzige sichere Strategie.
Was ist eine Nahrungsmittelunverträglichkeit?
Eine Nahrungsmittelunverträglichkeit hat nichts mit dem Immunsystem zu tun. Sie entsteht, weil dein Verdauungssystem etwas nicht richtig verarbeiten kann. Meist liegt das an einem Mangel an Verdauungsenzymen. Das bekannteste Beispiel ist die Laktoseintoleranz: Du hast nicht genug Laktase, das Enzym, das Milchzucker abbaut. Der unverdaute Zucker wandert in den Darm, wo Bakterien ihn vergären - und das produziert Gas, Blähungen, Bauchkrämpfe und Durchfall.
Die Symptome treten typischerweise 30 Minuten bis mehrere Stunden nach dem Essen auf. Sie sind lokalisiert - also hauptsächlich im Magen-Darm-Trakt. Keine Hautausschläge, keine Atemnot, keine Schwellungen. Und wichtig: Du kannst oft kleine Mengen vertragen. Viele Laktoseintolerante Menschen vertragen bis zu 12 Gramm Laktose pro Tag - das ist etwa ein Glas Milch. Es geht nicht um völlige Eliminierung, sondern um Anpassung.
Andere häufige Unverträglichkeiten sind Fructoseintoleranz (Fruchtzucker), Histaminintoleranz (durch bestimmte gereifte Lebensmittel) oder Glutenunverträglichkeit ohne Zöliakie. Bei diesen Formen ist der Auslöser oft ein chemischer Stoff, nicht ein Eiweiß, das das Immunsystem angreift.
Wie unterscheidet man die beiden?
Die Symptome können sich überlappen - besonders bei Durchfall oder Blähungen. Aber es gibt klare Unterschiede:
- Zeitpunkt: Allergie: innerhalb von 5-120 Minuten. Unverträglichkeit: 30 Minuten bis 24 Stunden.
- Umfang: Allergie: meist systemisch (Haut, Atemwege, Kreislauf). Unverträglichkeit: fast immer nur Magen-Darm.
- Menge: Allergie: selbst winzige Spuren reichen. Unverträglichkeit: oft nur hohe Dosen lösen Symptome aus.
- Stabilität: Allergie: Reaktionen können mit der Zeit schwerer werden. Unverträglichkeit: Symptome bleiben meist konstant.
Ein weiterer Hinweis: Bei einer Allergie ist die Reaktion immer gleich - egal ob du das Lebensmittel das erste oder das hundertste Mal isst. Bei Unverträglichkeiten hängt die Schwere oft von der Menge, dem Zeitpunkt, Stress oder anderen Faktoren ab.
Wie wird eine Nahrungsmittelallergie diagnostiziert?
Die Diagnose einer Nahrungsmittelallergie ist präzise und basiert auf drei Säulen: Hauttest, Bluttest und oraler Provokationstest.
Der Haut prick Test ist der erste Schritt. Ein Tropfen des Allergens wird auf die Haut geträufelt, dann leicht eingestochen. Ein positiver Test zeigt sich durch eine Rötung und Schwellung von mindestens 3 mm Durchmesser. Aber Vorsicht: Ein positives Ergebnis bedeutet nicht automatisch eine echte Allergie. Bis zu 50-90 % der positiven Tests sind falsch positiv - besonders bei Menschen mit Ekzemen.
Der Bluttest misst die Konzentration von IgE-Antikörpern gegen ein bestimmtes Lebensmittel. Ein Wert über 0,35 kU/L gilt als positiv. Aber auch hier: Ein hoher Wert sagt nicht, wie schwer die Reaktion sein wird. Es zeigt nur, dass das Immunsystem auf das Eiweiß reagiert.
Der orale Provokationstest ist der Goldstandard. Du bekommst unter strenger medizinischer Aufsicht steigende Mengen des verdächtigen Lebensmittels. Wenn du eine Reaktion hast, ist die Diagnose sicher. Dieser Test ist sicher, wenn er richtig durchgeführt wird - und er ist der einzige, der wirklich beweist, ob du allergisch bist.
Neuere Methoden wie Component-Resolved Diagnostics (CRD) unterscheiden sogar zwischen verschiedenen Eiweißbestandteilen. Bei Erdnüssen ist zum Beispiel der Protein-Ara h 2 besonders gefährlich. Ein Wert über 0,23 kU/L sagt mit 95 % Sicherheit voraus, dass eine echte Allergie vorliegt - nicht nur eine Sensibilisierung.
Wie wird eine Nahrungsmittelunverträglichkeit diagnostiziert?
Bei Unverträglichkeiten gibt es keine Bluttest, der zuverlässig ist. Die Diagnose ist ein Prozess - und er beginnt mit dem Ausschluss.
Laktoseintoleranz: Der Wasserstoff-Atemtest ist die Standardmethode. Du trinkst eine Laktose-Lösung, dann wird alle 15-30 Minuten der Wasserstoffgehalt in deiner Atemluft gemessen. Steigt er um mehr als 20 ppm über den Ausgangswert, ist die Diagnose gesichert. Die Methode ist zuverlässig - aber nicht perfekt. Bei Darmbakterienüberwucherung (SIBO) kann es zu falsch positiven Ergebnissen kommen.
Zöliakie: Das ist keine Unverträglichkeit - das ist eine Autoimmunerkrankung. Die Diagnose erfordert zwei Schritte: Zuerst ein Bluttest auf Gewebe-Transglutaminase-IgA-Antikörper. Ein Wert über 10 U/mL deutet stark darauf hin. Dann folgt eine Darmbiopsie - ein Endoskop mit Gewebeprobe aus dem Dünndarm. Nur wenn die Schleimhaut nach dem Marsh-3-Klassifikationsschema geschädigt ist, ist die Diagnose sicher.
Nicht-zöliakische Glutenunverträglichkeit: Hier gibt es keinen Test. Die Diagnose erfolgt über eine Eliminationsdiät: Du verzichtest 2-6 Wochen vollständig auf Gluten. Wenn es besser wird, führst du es systematisch wieder ein. Kommen die Symptome zurück, ist die Unverträglichkeit wahrscheinlich. Aber: Viele andere Erkrankungen wie Reizdarmsyndrom oder chronische Entzündungen können ähnliche Symptome haben - daher muss alles andere ausgeschlossen werden.
Was ist mit IgG-Tests?
Im Internet und in Wellness-Shops werden immer wieder Tests angeboten, die IgG-Antikörper gegen Lebensmittel messen. Sie versprechen, deine „Empfindlichkeiten“ zu finden. Das ist gefährlicher Unsinn.
Die American Academy of Allergy, Asthma & Immunology (AAAAI) sagt klar: IgG-Tests haben keine wissenschaftliche Grundlage. Sie messen nur, dass du ein Lebensmittel schon mal gegessen hast - nicht, dass du es nicht verträgst. Studien zeigen: Die Treffsicherheit liegt bei unter 30 % Sensitivität und unter 45 % Spezifität. Das bedeutet: Fast jede zweite Person bekommt ein falsch positives Ergebnis. Viele Menschen verschärfen dadurch ihre Ernährung unnötig - und verpassen die wahre Ursache ihrer Beschwerden.
Was passiert, wenn man falsch diagnostiziert wird?
Ein 2023er Studie in Clinical Gastroenterology and Hepatology zeigte: 80 % der Menschen, die sich selbst eine Nahrungsmittelunverträglichkeit diagnostizieren, haben gar keine. Stattdessen leiden sie an Reizdarmsyndrom (45 %), chronischer Darmentzündung (12 %) oder funktioneller Dyspepsie (23 %).
Wenn du dich selbst als „glutenfrei“ oder „laktosefrei“ ernährst, ohne die Ursache zu kennen, riskierst du:
- Unnötige Einschränkungen in der Ernährung
- Mangelernährung (z. B. Calcium bei Milchverzicht ohne Ersatz)
- Verzögerte Diagnose einer ernsthaften Erkrankung wie Zöliakie oder Morbus Crohn
- Psychologische Belastung durch übermäßige Angst vor Lebensmitteln
Das gilt auch für Allergien: Wer eine Allergie verkennt, kann in eine lebensbedrohliche Situation geraten. Wer eine Unverträglichkeit für eine Allergie hält, lebt unnötig in Angst - und verpasst die Möglichkeit, kleine Mengen zu vertragen.
Wie wird man behandelt?
Bei einer Allergie: Vermeidung + Notfallplan. Das bedeutet:
- Lesen von Zutatenlisten - in Deutschland und der EU sind die 14 Hauptallergene gesetzlich gekennzeichnet.
- Immer einen Epinephrin-Autoinjektor (EpiPen) bei sich tragen - 0,3 mg für Erwachsene, 0,15 mg für Kinder.
- Kein Risiko eingehen: Kein „nur ein bisschen“ - das kann tödlich sein.
- Der Preis für einen EpiPen liegt in Deutschland bei etwa 550-750 Euro pro Doppel-Pack - oft ohne Versicherung.
Bei einer Unverträglichkeit: Anpassung, nicht Eliminierung.
- Laktoseintoleranz: 12 g Laktose pro Tag sind meist verträglich - das ist ein Glas Milch oder ein Stück Käse.
- Fructoseintoleranz: Vermeidung von Hochfruktosesirup, Äpfeln, Birnen - aber oft verträglich in kleinen Mengen.
- Glutenunverträglichkeit: Keine Vollkornprodukte, aber oft verträgliches Reis- oder Maisgetreide.
- Historische Tipps: Enzympräparate (z. B. Lactase-Kapseln) können helfen - aber nicht heilen.
Was kommt als Nächstes?
Forschung geht weiter. Ein Studie aus September 2024 in Nature Communications hat spezifische Stoffwechselprodukte im Blut gefunden, die Nicht-Zöliakie-Glutenunverträglichkeit von Reizdarmsyndrom mit 89 % Genauigkeit unterscheiden können. Das könnte bald einen einfachen Bluttest ermöglichen.
Die Food Allergy Research & Education (FARE) finanziert aktuell 17 klinische Studien - unter anderem zu Basophil-Aktivierungstests, die die Reaktivität von Immunzellen messen. Die Zukunft liegt in personalisierten Diagnosen - nicht in Standardtests, die alles und nichts beweisen.
Dein Ziel sollte sein: Nicht zu vermeiden, was du nicht brauchst - sondern genau zu wissen, was dir wirklich schadet. Und dafür brauchst du keine Instagram-Diät-Coach, sondern einen Facharzt für Allergologie oder Gastroenterologie.
Was tun, wenn du unsicher bist?
Wenn du häufig Bauchschmerzen, Blähungen oder Durchfall hast - und du nicht weißt, warum:
- Notiere deine Essenszeiten und Symptome in einem Tagebuch - mindestens zwei Wochen.
- Gehe zu deinem Hausarzt - nicht zum Wellness-Shop.
- Frage nach einem Bluttest auf Zöliakie - das ist einfach und wichtig.
- Lass dich auf Laktoseintoleranz testen, wenn Milchprodukte Probleme machen.
- Vermeide Selbstdiagnose mit IgG-Tests oder „Sensitivitäts“-Apps.
- Wenn du eine Allergie vermutest, sprich mit einem Allergologen - nicht mit einem Ernährungsberater.
Dein Körper sagt dir etwas - aber er spricht nicht in Instagram-Hashtags. Er spricht in Symptomen. Und die müssen richtig übersetzt werden - mit Wissenschaft, nicht mit Werbung.
Kann eine Nahrungsmittelunverträglichkeit plötzlich auftreten?
Ja, das ist möglich. Laktoseintoleranz entwickelt sich oft im Erwachsenenalter, weil die Laktase-Produktion mit dem Alter abnimmt. Auch andere Unverträglichkeiten können durch Stress, Infekte, Antibiotika oder Darmveränderungen ausgelöst werden. Es ist kein Zeichen von Schwäche - sondern eine physiologische Anpassung des Körpers.
Kann man eine Nahrungsmittelallergie überwinden?
Bei Kindern ist das bei Milch-, Ei- und Weizenallergien möglich - oft bis zum Schulalter. Bei Erdnuss-, Baumnuss- oder Schalentierallergien ist das selten. Bei Erwachsenen ist eine vollständige Heilung extrem unwahrscheinlich. Manche Forschungsansätze wie die orale Immuntherapie (OIT) versuchen, die Toleranz langsam aufzubauen - aber das ist eine medizinische Behandlung, keine Selbsthilfe. Sie sollte nur unter strenger Aufsicht erfolgen.
Ist Gluten schlecht für alle?
Nein. Nur Menschen mit Zöliakie, Weizenallergie oder nicht-zöliakischer Glutenunverträglichkeit profitieren von einer glutenfreien Ernährung. Für die meisten Menschen ist Gluten harmlos. Glutenfreie Produkte sind oft weniger nahrhaft, reicher an Zucker und Fett - und teurer. Wer ohne Diagnose glutenfrei lebt, verliert möglicherweise Ballaststoffe und Vitamine - ohne Vorteil.
Warum vertrage ich Milch im Käse, aber nicht in der Milch?
Weil Käse weniger Laktose enthält. Beim Reifen wird Milchzucker von Bakterien abgebaut. Hartkäse wie Parmesan oder Cheddar enthält oft nur noch 0,1-0,5 g Laktose pro 100 g - das ist für die meisten Laktoseintoleranten verträglich. Milch hingegen enthält bis zu 5 g Laktose pro 100 ml. Es geht nicht um „Milch“ als Ganzes - sondern um die konkrete Menge und Form des Zuckeranteils.
Was ist mit „natürlichen“ Heilmitteln gegen Nahrungsmittelunverträglichkeiten?
Es gibt keine wissenschaftlich belegten Heilmittel. Probiotika, Enzyme oder Kräuter können bei Einzelfällen helfen - aber sie heilen nicht. Enzympräparate wie Lactase-Kapseln können die Symptome lindern, wenn du sie vor dem Essen einnimmst. Aber sie verändern nichts an der Grundursache. Wer behauptet, er könne deine Unverträglichkeit „wegheilen“, verkaufen dir eine Lösung - nicht Medizin.