Opioid-induzierte Verstopfung: Prävention und verschreibungspflichtige Behandlungsoptionen

Opioid-induzierte Verstopfung: Prävention und verschreibungspflichtige Behandlungsoptionen Dez, 15 2025

Wenn Sie langfristig Opioiden wie Morphin, Oxycodon oder Fentanyl zur Schmerzbehandlung einnehmen, ist Verstopfung nicht nur wahrscheinlich - sie ist fast unvermeidlich. Bis zu 95 % der Patienten mit chronischer Opioidtherapie leiden unter Opioid-induzierter Verstopfung (OIC). Im Gegensatz zu Übelkeit oder Schwindel, die mit der Zeit nachlassen, bleibt diese Form der Verstopfung bestehen. Sie wird nicht besser, wenn Sie länger behandelt werden. Und sie wird nicht besser, wenn Sie einfach mehr Ballaststoffe essen.

Warum funktionieren normale Mittel gegen Verstopfung nicht?

Opioid-induzierte Verstopfung entsteht, weil Opioidrezeptoren im Darm aktiviert werden. Diese Rezeptoren regulieren die Darmbewegungen, die Flüssigkeitsaufnahme und die Sekretion von Verdauungssäften. Wenn sie blockiert werden, verlangsamt sich der Darm, der Stuhl trocknet aus, und der Körper zieht Wasser aus dem Darminhalt. Das Ergebnis: harter, schwierig zu entleerender Stuhl - oft mit einem Gefühl der unvollständigen Entleerung.

Viele Patienten versuchen zuerst, das Problem mit Hausmitteln zu lösen: mehr Obst, Vollkorn, Ballaststoffe. Doch hier liegt der Fehler. Bei OIC kann eine hohe Ballaststoffzufuhr (über 30 g pro Tag) das Problem verschlimmern. Opioide hemmen die Darmmotilität so stark, dass Ballaststoffe nicht richtig durch den Darm transportiert werden. Stattdessen fermentieren sie im Dickdarm, verursachen Blähungen, Völlegefühl und können sogar zu schweren Stuhlklosen (Fekalomen) führen. Die American Gastroenterological Association und andere Fachgesellschaften raten seit 2021 explizit davon ab, Ballaststoffe als erste Therapie bei OIC zu empfehlen.

Was funktioniert stattdessen? Die ersten Schritte

Die erste und wichtigste Maßnahme ist: Prophylaxe. Bevor Sie mit einer langfristigen Opioidtherapie beginnen, sollte Ihr Arzt Sie über das Risiko aufklären und gleichzeitig eine vorbeugende Behandlung starten. Es geht nicht darum, abzuwarten, bis es schlimm wird. Es geht darum, es von Anfang an zu verhindern.

Als erste Linie empfehlen Leitlinien zwei Arten von Abführmitteln:

  • Polyethylenglykol (PEG) - auch bekannt als Macrogol oder Miralax®. Täglich 17-34 Gramm. Es zieht Wasser in den Darm, ohne die Darmbewegungen zu reizen. Es ist gut verträglich und wirkt über mehrere Tage.
  • Stimulanzien - wie Bisacodyl (5-15 mg täglich) oder Senna (8,6-17,2 mg täglich). Diese regen die Darmmuskulatur direkt an. Sie wirken schneller, aber können bei längerer Anwendung zu Abhängigkeit führen.
Studien zeigen: Nur 25-50 % der OIC-Patienten bekommen mit diesen Mitteln eine befriedigende Linderung. Das ist nicht genug. Und das ist der Grund, warum viele Patienten ihre Schmerzmedikamente reduzieren oder ganz absetzen - nicht weil die Schmerzen schlimmer werden, sondern weil die Verstopfung unerträglich wird.

Wenn Hausmittel nicht helfen: Verschreibungspflichtige Optionen

Wenn einfache Abführmittel nicht wirken, gibt es spezielle Medikamente, die genau auf die Ursache von OIC abzielen: die peripher wirksamen μ-Opioidrezeptor-Antagonisten, kurz PAMORAs.

Diese Wirkstoffe blockieren die Opioidrezeptoren im Darm - aber nicht im Gehirn. Das ist der Schlüssel. Sie verhindern die Verstopfung, ohne die schmerzlindernde Wirkung der Opioiden zu beeinträchtigen. Drei Wirkstoffe sind in Deutschland und Europa zugelassen:

  • Methylnaltrexon (Relistor®): Als Injektion. Wirkung innerhalb von 30 Minuten bis 4 Stunden. Besonders bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung oder Palliativsituationen eingesetzt. Kritik: Injektionen, hohe Kosten (ca. 800 €/Monat), lokale Reaktionen an der Einstichstelle.
  • Naloxegol (Movantik®): Als Tablette. Wirkung innerhalb von 6-12 Stunden. Zugelassen für chronische Schmerzen, nicht nur Krebs. Gut verträglich, aber 15-20 % der Patienten haben Bauchschmerzen.
  • Naldemedin (Symcorza®): Auch als Tablette. Wirkung nach 24 Stunden. Hat die höchste Patientenzufriedenheit unter den PAMORAs - 59 % berichten von „moderater bis signifikanter Verbesserung“. Nebenwirkungen: Bauchschmerzen (38 %), Durchfall (10 %).
Ein weiteres Medikament ist Lubiproston (Amitiza®). Es aktiviert einen Chloridkanal im Darm, der Flüssigkeit in den Darminhalt zieht. Es ist seit 2013 zugelassen - aber ursprünglich nur für Frauen, weil die ersten Studien kaum Männer eingeschlossen hatten. Heute weiß man: Es hilft auch Männern. Aber: Bis zu 30 % der Patienten bekommen Übelkeit, 15-20 % Durchfall. Es ist teuer und wird oft nicht von Kassen übernommen.

Arzt gibt Patientin eine Pille, während ihre Darmrezeptoren durch goldene Schilder geschützt werden.

Was Patienten wirklich sagen

In Online-Foren wie Reddit oder Drugs.com berichten viele Patienten von einem „Trial-and-Error“-Drama. Sie probieren Miralax, dann Senna, dann Bisacodyl - und wenn das nicht hilft, wird es kompliziert. 68 % der Befragten in einer Umfrage haben ihre Abführmittel selbst verändert, weil sie nicht wirken. 73 % haben mindestens ein verschreibungspflichtiges Mittel abgesetzt - wegen Nebenwirkungen oder weil es einfach nicht funktionierte.

Ein Patient schrieb: „Ich nehme Oxycodon seit drei Jahren. Miralax half zwei Wochen. Dann nichts mehr. Ich habe 400 € für Movantik ausgegeben - und es hat nicht mal einen Tag lang geholfen. Jetzt bin ich am Absetzen der Schmerzmittel. Und das, obwohl meine Schmerzen noch immer da sind.“

Diese Geschichten sind nicht selten. Und sie zeigen: Es gibt keine „eine Lösung für alle“. Aber es gibt ein System.

Wie wird OIC richtig behandelt? Ein Praxisleitfaden

Ein guter Arzt behandelt OIC nicht als Nebenwirkung - er behandelt sie als Hauptproblem. Hier ist, wie es richtig funktioniert:

  1. Bevor die Opioidtherapie beginnt: Frage nach der normalen Stuhlfrequenz. Nutze den Bristol-Stuhl-Score (1-7) oder eine OIC-Skala. Notiere, ob der Patient schon vorher Verstopfung hatte.
  2. Starte sofort mit PEG (17-34 g/Tag). Nicht warten, bis es schlimm wird.
  3. Wöchentlich prüfen: Hat sich der Stuhl verbessert? Gibt es Bauchschmerzen? Wurde die Dosis angepasst?
  4. Wenn nach 7 Tagen keine Besserung: Zusätzlich ein Stimulans (z. B. Bisacodyl) hinzufügen.
  5. Wenn nach 14 Tagen immer noch keine Besserung: Auf ein PAMORA umstellen - am besten Naldemedin oder Naloxegol.
  6. Dokumentieren: Nutze standardisierte Formulare. Nur 45 % der Hausärzte tun das. Aber wer dokumentiert, kann besser behandeln.
Wichtig: PAMORAs sind keine „Letztlösung“. Sie sind die logische nächste Stufe - und oft die einzige, die Schmerztherapie und Lebensqualität gleichzeitig rettet.

Patientin an einer Kreuzung: eine Seite mit zusammenbrechenden Ballaststoffen, die andere mit leuchtenden Medikamenten zur Lebensqualität.

Warum ist das alles so wichtig?

Weil OIC nicht nur unangenehm ist - sie zerstört die Therapie. Eine Studie in JAMA Internal Medicine zeigte: 30-40 % der Patienten reduzieren oder stoppen ihre Opioiddosis, weil sie die Verstopfung nicht ertragen. Sie leiden weiter - aber jetzt auch noch mit weniger Schmerzlinderung.

In den USA erhalten 100 Millionen Menschen jährlich Opioidrezepte. Etwa 40-50 Millionen davon leiden an OIC. Die Behandlungskosten für OIC sind inzwischen höher als die für viele Krebsformen. Und doch wird sie oft ignoriert.

Die gute Nachricht: Die Medizin hat Lösungen. Die bessere Nachricht: Die Lösungen werden besser, billiger und zugänglicher. Seit 2023 ist Naldemedin auch für Kinder zugelassen. Phase-III-Studien laufen für eine Kombination aus Naloxon und Polyethylenglykol - ein Tablet, das gleichzeitig Schmerz und Verstopfung angeht.

Was können Sie tun?

Wenn Sie Opioiden einnehmen und Verstopfung haben:

  • Setzen Sie keine Ballaststoffe als Haupttherapie ein - sie können schaden.
  • Beginnen Sie mit Polyethylenglykol (PEG). Es ist sicher, billig und wirkt langsam, aber zuverlässig.
  • Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über PAMORAs, wenn PEG nicht hilft - nicht nach sechs Monaten, sondern nach zwei Wochen.
  • Verlangen Sie eine regelmäßige Kontrolle Ihrer Darmfunktion. Fragen Sie nach dem Bristol-Score.
  • Wenn Sie ein PAMORA verschrieben bekommen: Geben Sie es mindestens 14 Tage Chance. Die Wirkung kommt nicht immer sofort.
Opioid-induzierte Verstopfung ist kein Zeichen von Schwäche. Sie ist eine pharmakologische Tatsache. Und sie ist behandelbar - aber nur, wenn man sie als das behandelt, was sie ist: eine ernsthafte, systemische Nebenwirkung, die die gesamte Schmerztherapie gefährdet.

Kann ich bei Opioid-induzierter Verstopfung einfach mehr Obst und Gemüse essen?

Nein. Obwohl Ballaststoffe bei normaler Verstopfung helfen, können sie bei Opioid-induzierter Verstopfung (OIC) das Problem verschlimmern. Opioide verlangsamen die Darmbewegung so stark, dass Ballaststoffe nicht richtig transportiert werden. Stattdessen fermentieren sie im Dickdarm und verursachen Blähungen, Völlegefühl und sogar Stuhlklosen. Leitlinien wie die der American Gastroenterological Association raten daher explizit davon ab, Ballaststoffe als erste Therapie bei OIC zu empfehlen.

Warum helfen normale Abführmittel oft nicht bei OIC?

Normale Abführmittel wie Senna oder Bisacodyl reizen den Darm - aber bei OIC ist das Problem nicht nur eine träge Darmtätigkeit, sondern eine vollständige Hemmung der Flüssigkeitssekretion und der Darmmotilität durch Opioidrezeptoren. Daher reichen Stimulanzien oft nicht aus. Studien zeigen, dass nur 25-50 % der OIC-Patienten mit herkömmlichen Abführmitteln eine ausreichende Linderung bekommen. Die Ursache liegt in der spezifischen Wirkungsweise von Opioiden - nicht in der Schwäche der Mittel.

Was sind PAMORAs und wie wirken sie?

PAMORAs (peripher wirksame μ-Opioidrezeptor-Antagonisten) blockieren die Opioidrezeptoren nur im Darm - nicht im Gehirn. So verhindern sie die Verstopfung, ohne die schmerzlindernde Wirkung der Opioiden zu beeinträchtigen. Beispiele sind Naldemedin (Symcorza®), Naloxegol (Movantik®) und Methylnaltrexon (Relistor®). Sie wirken gezielt an der Ursache und zeigen in Studien eine Besserungsrate von 40-50 % - deutlich höher als Placebo (25-30 %).

Wie teuer sind PAMORAs und werden sie von der Krankenkasse übernommen?

PAMORAs sind teuer: Ein Monat Naldemedin kostet zwischen 500 und 1.200 Euro, je nach Versicherung. In Deutschland werden sie oft nur nach erfolgloser Therapie mit Abführmitteln erstattet - das heißt, es gilt eine „Stufen-Therapie“. Viele Kassen verlangen einen Nachweis, dass mindestens zwei herkömmliche Abführmittel versagt haben, bevor sie die Kosten übernehmen. Patienten sollten sich frühzeitig mit ihrer Krankenkasse abstimmen.

Ist Naldemedin besser als Naloxegol?

Beide wirken ähnlich gut, aber Naldemedin (Symcorza®) hat in Patientenbefragungen eine höhere Zufriedenheit: 59 % berichten von „moderater bis signifikanter Verbesserung“, verglichen mit 52 % bei Naloxegol. Außerdem wirkt Naldemedin schneller und hat weniger Übelkeit. Allerdings verursacht es häufiger Bauchschmerzen (38 % vs. 25 %). Die Wahl hängt vom individuellen Verträglichkeitsprofil ab - und von der Verfügbarkeit.

Wie lange dauert es, bis ein PAMORA wirkt?

Die Wirkung variiert: Naldemedin und Naloxegol (Tabletten) wirken meist innerhalb von 24 bis 48 Stunden. Methylnaltrexon (Injektion) wirkt innerhalb von 30 Minuten bis 4 Stunden. Patienten sollten mindestens 14 Tage warten, bevor sie die Wirkung als „nicht erfolgreich“ bewerten - besonders bei Tabletten. Die volle Wirkung entfaltet sich oft erst nach mehreren Tagen.

Kann ich OIC verhindern, ohne Medikamente zu nehmen?

Nur teilweise. Bewegung, ausreichend Flüssigkeit und regelmäßige Toilettengewohnheiten helfen, aber sie reichen nicht aus, um OIC zu verhindern. Die Ursache ist pharmakologisch - also biologisch bedingt durch die Wirkung der Opioiden. Die einzige wirksame vorbeugende Maßnahme ist die frühzeitige Einnahme von Polyethylenglykol (PEG), begleitet von ärztlicher Überwachung. Andere Maßnahmen sind unterstützend - aber nicht ausreichend.

1 Comment

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    Asbjørn Dyrendal

    Dezember 15, 2025 AT 15:47

    Ich hab das mit den Ballaststoffen auch erstmal probiert, dachte, das hilft wie bei normaler Verstopfung. Fehlanzeige. Habe mich dann erst mal mit Miralax gerettet, aber nach 3 Monaten wars wieder wie vorher. Jetzt bin ich bei Naldemedin – und ja, die Bauchschmerzen sind doof, aber wenigstens geh ich wieder normal auf die Toilette. Endlich.

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